Bäume auf die Dächer – Wälder in die Stadt!
Nein, das ist kein Aufruf, Bewohner:innen des Bregenzerwaldes ins Rheintal zu holen. Es ist vielmehr ein Plädoyer für mehr Grün des Naturdenkers Conrad Amber.
Dessen gleichnamiges Buch erschien im Jahr 2017. In seinen Betrachtungen beschäftigt sich Conrad Amber mit den Visionen, wie sich Dachgärten positiv auf das Klima auswirken, wie sich der Feinstaubgehalt in einer Allee-Straße verändert, wie ein Autobahnwald funktioniert oder wie ein Friedwald unser tägliches Leben beeinflussen kann. Wir haben Conrad Amber getroffen und mit ihm über sein Buch und seine Visionen gesprochen.
Für alle, die dich nicht sehen können. Wer ist Conrad Amber?
Ich bin ein Kind meiner Heimat Vorarlberg. Die Liebe zur Natur und die unverfälschte Sicht auf dieses Land haben mich seit jeher gefangengenommen. Diese Liebe zu Wiesen, Wäldern und Kultur des Alpenraums drücke ich in meinen Büchern in Bild und Text aus. So schaffe ich eine eigene Atmosphäre im Einklang mit der Natur. Ich nenne sie Amberwildheit.
Die Natur – heute ein Begriff, der zentral ist. Der Freude und Leid, Gefahr und Rettung beinhaltet. Was heißt Natur für dich?
Ich bin ein Naturmensch. Naturnah. »Natur« ist die Philosophie, die mich schon seit meiner Jugend prägt. Ich sehe mich in einer ursprünglichen Umgebung, die noch nicht von Menschenhand verändert worden ist, zu Hause. Diese stimmig einzufangen, ihre Facetten und Horizonte zu vermitteln, das ist mein Anliegen. Denn ich glaube, die Seele der Welt liegt in der Natur. Sie spiegelt das wieder, was in uns allen vorgeht, was wir fühlen, spüren, sind. Ich gehe zurück zu den Ursprüngen und entdecke sie. Neu und unverfälscht. Unser Ziel muss es sein, die Natur bewusst in ihren Ursprüngen zu erleben. Ihre Wurzeln zu spüren. Sie zu erhalten und zu schützen vor Irrtum, Raubbau und Zerstörung.
In deinem neuen Buch mit dem Titel »Bäume auf die Dächer – Wälder in die Stadt!« beschreibst du deine Visionen rund um das Phänomen Stadt und Baum. Worauf kommt es dir in deinem Plädoyer vor allem an?
Ich stelle mir bzw. meinen Lesern vorab ein paar ganz einfache Fragen: Gehören Sie zu den glücklichen Menschen, die einen Blick ins Grüne haben? Erleben Sie den Lauf des Jahres mit dem Schauspiel der Verwandlung der Pflanzen? Genießen Sie die Düfte und Gerüche von Bäumen und Blumen? Oder ist das alles sehr weit weg von Ihnen?
Meine Antwort: Je weiter wir uns von der Natur entfernen, je mehr wir sie verdrängen und züchtigen, umso schlechter geht es uns. Die Zivilisationskrankheiten, wie etwa Allergien, Atemprobleme, Krebs und Burnout, nehmen in beunruhigendem Maße zu, und das hat einen erschreckenden Zusammenhang. Die Feinstaubbelastung unserer Städte und der CO2-Gehalt unserer Atemluft hat die höchsten Werte seit Aufzeichnungsbeginn erreicht. Es ist höchste Zeit, dass wir aufstehen und anpacken. Wir können, wir müssen etwas gegen diese selbstzerstörerischen Entwicklungen tun.
Das klingt alles sehr prophetisch. Doch was ist es, was wir im Einzelnen, aber auch als Gesellschaft dagegen tun können?
Es ist manchmal einfacher, als wir denken. Wir müssen zuallererst umdenken und unser Handeln verändern. Wir müssen vor allem uns wieder mit der Natur versöhnen und sie zulassen. Und es wird uns überraschen, wie und wo das überall möglich ist. Je weniger wir manchmal eingreifen, umso besser ist das schlussendlich für uns. Damit müssen wir erst einmal zurechtkommen. Denn wenn wir Grün zulassen, und das nicht nur in unseren Gärten und Balkonen, sondern auch am und über dem Haus, dann wirkt sich das unmittelbar auf uns aus. Die Atemluft wird besser, das Klima wird ausgeglichen, unsere Gesundheit wird gestärkt.
Bäume auf die Dächer – wie dürfen wir uns das vorstellen?
In den Stadtgebieten, insbesondere den Gewerbeflächen, breitet sich inzwischen ein Meer an Flachkiesdächern aus, die im Sommer bis über 80° C heiß werden und von denen das Wasser nach Starkregen innerhalb von wenigen Stunden in die Kanalisation abgeleitet wird. Beides hat einen dramatischen Einfluss auf das Mikroklima und die Überschwemmungsgefahr. In vielen Projekten und beispielhaften Gründächern wird inzwischen vorgeführt, wie positiv sich die Dachbegrünung auswirkt. Auf die Qualität der Luft, die die Pflanzen vom Feinstaub befreien, auf das Klima, das gemäßigt und gekühlt wird, auf den Wasserhaushalt, da der Großteil des Niederschlages am Dach bleibt und dort kühlend verdunstet. Dachgärten dämpfen die Lärmbelästigung, isolieren das Gebäude, sodass dort erheblich Energie eingespart werden kann, und ganz nebenbei verlängert ein höherer Substrataufbau die Lebensdauer der Dachhaut bis zum Doppelten. Das muss natürlich professionell gemacht werden, aber die technischen Lösungen gibt es längst.
Du sprichst in deinem Buch von der Sukzession, der Rückeroberung brachliegender Flächen. Was genau ist darunter zu verstehen und was bewirkt sie?
Mit Sukzession – ich nenne es auch die Rückeroberung – bezeichnet man den Vorgang der Pflanzenwelt, sich Brachflächen zurückzuholen. Am Ende entsteht dann wieder Wald – unsere natürliche Landschaftsform. Wenn dies – so wie im Park am Gleisdreieck in Berlin – zugelassen wird, indem aufgegebene Bahnflächen nicht mehr gebraucht und bewaldet werden, so entsteht ohne Zutun des Menschen ein attraktiver, grüner Erholungsraum, der inzwischen zu einem stark frequentierten Waldpark gewachsen ist.
Das kühlt die Stadtluft erheblich ab, Totholzbäume bleiben stehen als Wohnung für Specht, Fledermaus und Wildbiene und werden – wo es für die Gehsicherheit notwendig ist – mit Stützen gesichert. Bäume in Parks dürfen endlich wieder ihren natürlichen Wuchs entfalten und Äste bis zum Boden behalten, ohne dass man sie gleichförmig in Standardform zuschneidet. Durch diese Haltung – oder eigentlich das »Nichteingreifen« – entstehen wieder Vielfalt, Lebensräume und letztlich auch eine gesunde Umgebung für die Waldpark- Benützer.
Wie kommt man – wie du – auf die Idee, ein florierendes Unternehmen zu verkaufen und sich fortan der Sichtbarmachung von Natur und Bäumen zu widmen?
Ich möchte mit den Menschen meine Liebe zur Natur teilen. Ihnen Wege aufzeigen, wie wir in unsere Mitte finden können. Ihnen die Schönheiten unserer Heimat präsentieren. Im Zuge meiner Arbeit habe ich die Natur erwandert, erspürt und mit meiner Kamera eingefangen.
Doch das ist nicht nur meine persönliche Erfahrung. Längst wurde durch Studien nachgewiesen, wie gesund der Aufenthalt im Wald für uns Menschen ist. Wenn wir dort sind und atmen, uns bewegen und genießen, nehmen wir Moleküle der Waldluft über die Haut und unsere Atmung in uns auf. Diese Botenstoffe – Terpene –, mit welchen die Bäume untereinander kommunizieren, sind Heilstoffe, die schon nach wenigen Stunden in unserem Blut nachgewiesen werden können. Sie senken Allergene und stärken unser Immunsystem. Aber selbst über den medizinischen Effekt hinaus tut das Verweilen im Wald unserer Seele, unserem Wohlbefinden und unserem Gemüt gut.
Ganz ohne Eile, ohne Smartphone, Kopfhörer oder Zigaretten. Wenn wir uns auf dieses »Waldbaden« einlassen, erholen wir uns in ungekannter Weise und Tiefe.